Frankfurt Notes – Let’s talk about: Valuation

In der Finanzwelt findet seit langem eine angeregte Diskussion darüber statt, ob die Bewertung von Aktiva eher als quantitativ exakte Wissenschaft oder doch eher als eine „künstlerische“ Disziplin zu betrachten ist. Vielen Unternehmensvertretern mag diese Diskussion in der aktuellen Lage recht akademisch erscheinen. Denn die Aktienmarkt-Korrektur des laufenden Jahres hat die Aktienkurse und Bewertungen vieler Unternehmen hart getroffen – weiterer Gegenwind im Herbst nicht ausgeschlossen. Wie sehr dies Unternehmens- und IR-Verantwortliche beschäftigt, haben uns die letzten Wochen und Monate gezeigt. Unternehmensvertreter sprechen uns verstärkt auf als unzureichend empfundene Bewertungen ihrer Unternehmen an:  Was kann man konkret tun, um die als zu niedrig empfundene Bewertung zu erhöhen? Mit welchen Maßnahmen der IR-Arbeit lassen sich Argumente transportieren und der Aktienkurs bewegen? Was ist realistisch und wo stößt nachhaltige IR-Arbeit auch an ihre Grenzen?

Wir ordnen Maßnahmen dabei gerne aus der Perspektive derjenigen ein, die für die Bewertung sorgen, nämlich der Akteure an den Finanzmärkten: also den Analysten, die Empfehlungen aussprechen, Sales-Leuten, die mit Überzeugung potenzielle Investoren ansprechen – oder eben nicht -, und in allererster Linie von Investoren, die Entscheidungen für oder gegen eine Anlage treffen. Egal, ob diese Akteure der methodisch reinen Lehre folgen oder die Kursbildung eher als kunstvolles Zusammenspiel vielfältiger Faktoren betrachten, sie alle legen ihrem Handeln eine Ankerbewertung zugrunde. Diesen Anker bilden wir mit einem vereinfachten Dividendendiskontierungsmodell ab, dem eine konstante Wachstumsrate der ausgeschütteten Gewinne zugrunde liegt. In diesem sogenannten Gordon-Growth-Modell gilt: Der Wert der Aktie ergibt sich als Quotient aus Dividenden einerseits und der Differenz aus Eigenkapitalkosten und Wachstumsrate andererseits.

Der Wert des Unternehmens hängt also positiv von den (ausgeschütteten) Gewinnen und vom Wachstumstempo und negativ von den Eigenkapitalkosten ab. Dies klingt zunächst banal, hilft aber die wesentlichen Maßnahmen zu definieren und sie auf ihre Wirkung hin einzuordnen. Fünf Ansatzpunkte, die zu einer bewertungssteigernden IR-Arbeit aus unserer Sicht unbedingt dazugehören:

Ergebnistreiber verständlich erklären. Das Unternehmensergebnis ist selbstredend kein Ergebnis der IR-Arbeit, sondern Ausdruck mehr oder weniger erfolgreicher Unternehmenstätigkeit. Die Frage, ob Ergebnisse durch einmalige Sonderfaktoren bestimmt sind oder langfristigen Trends folgen, ist bewertungsrelevant. Investor Relations schafft Wert, wenn es die Nachhaltigkeit von Ergebnisquellen aufzeigt. Cash Earnings zählen mehr als kurzfristige Bewertungseffekte. Ergebnisse aus schwankungsarmen Geschäftsfeldern sind wertvoller als diejenigen aus stark zyklischen Bereichen. Es geht nicht um Transparenz über die letzte Nachkommastelle, sondern um ein aufschlussreiches Bild über die wesentlichen Ergebnistreiber.

Stabile und berechenbare Bilanzpolitik betreiben. Die empirischen Ergebnisse der Verhaltensökonomie sind eindeutig: Verlusten wird in Experimenten ein höheres Gewicht beigemessen als gleichhohen Gewinnen – symmetrische Wetten, bei denen Kandidaten mit 50 % Wahrscheinlichkeit den gleichen Betrag gewinnen oder verlieren können, sind nicht attraktiv. Mit ihrer Wertfunktion der Prospect Theory bilden Daniel Kahneman und Amos Tversky den subjektiven Wert von Vermögensveränderungen ab. Daraus folgt:  Investoren messen der Stabilität von Gewinn- und Dividendenreihen einen hohen Wert bei. Positive Überraschungen gegenüber einem Referenzwert können den Schmerz gleichhoher Verluste in anderen Jahren nicht kompensieren. Planbarkeit und Verlässlichkeit sind im Zweifel wichtiger als das etwas höhere Ergebnis über einen Mehrjahreszeitraum oder die in Summe etwas höhere Dividendensumme. Dividendenrückgänge gilt es, wenn irgend möglich, zu vermeiden. Dies schlägt auch die Brücke zu den Eigenkapitalkosten – diesen negativen Einflussfaktor für die Bewertung dämpft all das, was die Volatilität eines Investments reduzieren hilft.

Wachstumschancen aufzeigen. Wachstumspotenziale beurteilen kann am besten, wer die jeweilige Branche und die Position des Unternehmens versteht. Gerade in weniger gut bekannten Nischen schaffen fundierte Erläuterungen und Daten daher Wert. Das Maß an Konfidenz, das die Kapitalmarktakteure entwickeln, hängt dabei nach unserer Einschätzung von zwei gut beeinflussbaren Faktoren ab: Trauen sich Unternehmen zu, eine Perspektive – auch über die Prognose des laufenden Jahres hinaus – aufzuzeigen? Sind Ziele und Prognosen auch deshalb glaubwürdig, weil sie für Externe nachrechenbar und damit besser nachvollziehbar sind? In der Verhaltensökonomie spricht man tatsächlich vom IKEA-Effekt: Wer den Kleiderschrank Pax oder das Excel-Modell zum Unternehmen Y selbst gebaut hat, findet diese i.d.R. nicht nur besonders gelungen, sondern weiß auch sehr genau, wo Teile oder Annahmen vollständig sind und wo sie gut oder eben auch nicht zusammenpassen.

Gehör verschaffen. All diese Überlegungen tragen nur dann Früchte, wenn das Narrativ einlädt, sich eingehender mit dem Unternehmen zu beschäftigen. Kapitalmarktakteure fällen hierzu in der Regel ein schnelles Urteil anhand von drei kritischen Faktoren: 1) Attraktivität. Überzeugt der Investment Case? Sind die wesentlichen Argumente für das Investment präzise formuliert sowie anschaulich und konsistent abgebildet – auf der Internet-Seite, in der Präsentation, im Dialog mit Analysten und Investoren? 2) Verständlichkeit. Wird das Geschäftsmodell in wenigen Sätzen und komprimiert auf einer Powerpoint-Seite dargestellt? Wird die Frage, wie das Unternehmen Geld verdient, beantwortet? Für den Analysten oder Investor, der sich mit diesem oder mit anderen Unternehmen beschäftigen kann, bestimmt der pointierte Elevator Pitch auch das zu erwartende Verhältnis von Arbeitsaufwand zur Renditechance. Eine transparente und übersichtliche Finanzberichterstattung kann ein zusätzliches Argument liefern.  3) Dialog. Kommt man mit dem Unternehmen leicht in Kontakt, werden Fragen kurzfristig beantwortet und Terminanfragen auch auf Vorstandsebene bedient? Es geht auch um die Präsenz auf Investorenkonferenzen, den intensiv vorbereiteten Investorentag, die gezielte Ansprache von Zielinvestoren, die Multiplikator-Wirkung von Sell-Side-Research und die grundsätzliche Bereitschaft zum Dialog auf Augenhöhe.

Vertrauen aufbauen. Vordergründig kaufen Investoren Unternehmen. Tatsächlich setzen sie darauf, dass die Unternehmensverantwortlichen die Vision zum Leben erwecken, die richtigen Themen setzen, Ziele erreichen und Agenden sauber umsetzen. Eine gute IR-Arbeit zielt darauf ab, einen positiven Track-Record von Unternehmen und Managern aufzubauen, etwa indem Ziele ambitioniert, aber auch erreichbar formuliert werden.  Sie sollte Formate zulassen, in denen persönlicher Kontakt möglich ist. Sie sollte Entscheidungsträger gut vorbereitet in Dialogsituationen bringen, in denen sie sich wohlfühlen und überzeugen können.  Und sie sollte unterlassen, was kurzfristige Euphorie entfacht, aber nicht mittel- und langfristig trägt. Vertrauen, so wissen wir nicht erst seit der früheren Werbekampagne der Deutschen Bank, ist der Anfang von allem.